Markus 4
1Wieder einmal war Jesus am See und begann, die Menschen zu lehren. Es versammelte sich eine so große Volksmenge um ihn, dass er in ein Boot stieg. Dort setzte er sich hin. So war er auf dem See, und die Volksmenge blieb am Ufer.
2Jesus erklärte ihnen vieles von seiner Lehre in Form von Gleichnissen.
35Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern:
»Wir wollen ans andere Ufer fahren.«
36Sie ließen die Volksmenge zurück und fuhren mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit.
37Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief.
38Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen.
Seine Jünger weckten ihn und riefen: »Lehrer!
Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?«
39Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See:
»Werde ruhig! Sei still!«
Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still.
40Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst?
Habt ihr immer noch keinen Glauben?«
Aber die Jünger überkam große Furcht.
Sie fragten sich: »Wer ist er eigentlich?
Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!«
Liebe Gemeinde,
Eine Bootsgeschichte … Vor ein paar Jahren waren wir ein einige Male mit Jugendlichen unterwegs auf einem Segeltörn.
Wir fuhren auf einem ungefähr 100 Jahre alten Gaffelschoner mit 5 Segeln, wobei man immer 4-5 Mann allein für das Haupt-Segel brauchte, um das so halbwegs zu bedienen. Wenn starker Wind war oder gar Sturm, dann brauchte man noch mehr Muskelkraft. Muskelkraft! Tatsächlich.
Ein „Skipper“ und ein Bootsmann, Leute mit Ausbildung und viel Erfahrung, gaben uns Einweisung und Training und — sagten, was zu tun war.
– Wenn Sie mal mit heutigen Jugendlichen oder einfach nur jüngeren Leuten aus der Generation xyz zu tun hatten, dann können Sie sich vielleicht ausmalen, dass es an so einer Stelle – einer sagt verbindlich, wo es langgeht – zu echten Problemen kommen kann … kam es auch:
Wir segelten vor der schwedischen Küste bei Göteborg und der Wind wurde immer stärker. Das Boot machte ziemlich gute Fahrt; die Wellen schäumten; und wir hatten alle ziemlich gute Laune, bis der erste Kamerad sich nach hinten verabschiedete, um seinen Mageninhalt über die Reeling zu entleeren. Seekrank. Einer war ausgefallen. Wenig später der Nächste. Der hatte sich ein paar Energy-Drinks „reingetan“, und wir waren schon ein bisschen sauer. Zwei Kräfte weniger.
Und dann kam noch eine richtig schlechte Nachricht vom Kapitän, vom Skipper; er sagte: „Leute, wir müssen umdrehen. Es sieht so aus, als ob wir hier ja gerade ziemlich gut Fahrt machen, aber in Wirklichkeit stehen wir auf der Stelle…“
[Stellen Sie sich das auf der Elbe vor: Sie rudern gegen die Strömung und sind ziemlich gut, aber bezogen auf das Ufer kommen sie nicht vorwärts; sowas gibt’s auch auf See.]
„Der Wind wird immer stärker“ – sagte der Skipper: „und vielleicht werden noch ein paar von Euch seekrank und dann geht nichts mehr…“
Also, beidrehen. Und das bedeutete: alle irgendwie verfügbaren Hände werden gebraucht. Eine interessante Erfahrung, wegen der man übrigens auch schwer erreichbare Kinder auf solche Törns schickt: Es kommt auf jeden an – jeden! Der Skipper teilte die Arbeitsbereiche und Positionen zu.
Da sagte einer von unseren Kameraden: ich muss mal eben was trinken, ich geh eben mal runter. Nein! – zischte der Skipper in markant, scharfen Ton: Du – bleibst – jetzt -hier. Du gehst nicht! Wenn einer fehlt, nur einer! kann das ein ganzes Schiff in Probleme bringen.
Es gab eine harte, laute Auseinandersetzung, die zum Glück nicht in einer Schlägerei endete … Aber das Vertrauen in der Mannschaft war hin …
DAS war eine Situation, die ich mir gut gemerkt habe.
Skipper Ulf war im alltäglichen Leben Lehrer. Er sagte mir hinterher: auf so einem Boot zeigt sich nach einem Tag der wirkliche Charakter eines Menschen. Kannst du dich auf den verlassen oder … nun ja.
Das war spannend.
Mit dieser eindrücklichen Lebenserfahrung im Rücken schaue ich jetzt auf die alte Geschichte mit Jesus im Boot …
Lebensgefahr für 11 … 20 … 30 Menschen. Jede Hand wird gebraucht. Und der liegt da und schläft.
Kann das sein? —
Sehen Sie, da kennt man eine Geschichte seit der Grundschulzeit und hat sie hundertmal gehört und auch ausgelegt bekommen, und plötzlich kommen die Fragezeichen: Wenn ich drüber nachdenke, habe ich es noch nie verstehen können, dass es jemand fertigbringt, in einem Ruderboot bei Sturm zu schlafen.Wenn Sie sozusagen alle Naselang das Äquivalent von ein paar Eimern Wasser über den Kopf bekommen, dann möchte ich mal sehen, wie Sie schlafen …
Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief.
Ok – es steht geschrieben, dass sie ihn wecken, und sie sagen ihm in kürzester Kürze, dass ihr Leben auf dem Spiel steht, (es ist keine Zeit zu verlieren, jede Hand wird gebraucht … das ist die Erwartung; es kann keine andere geben; und natürlich auch kein Zögern) … Soweit.
Und er steht auf und nein, er greift sich kein Ruder, sondern hält gleich den mal eben den ganzen Sturm an.
Und sagt dann noch – man kann es nur als provozierend empfinden – Habt ihr noch keinen Glauben?
Liebe Gemeinde, sagen wir mal so: das ist ziemlich dick aufgetragen und dabei meine ich noch nicht einmal das Wunder der Sturmstillung; an der Stelle habe ich die wenigsten Zweifel; aber das andere vom Ablauf dieser Geschichte … hm. Ich bin ziemlich sicher, uns wäre jede Art von Höflichkeit aus dem Gesicht gefallen.
Oder man hat keine Ahnung.
Was will uns diese Geschichte sagen?
Ist es vielleicht gar nicht so sehr der Sturm auf dem See Genesareth, auf den wir schauen sollen … und vielleicht noch nicht einmal die Rettung der Jünger … aber was dann?
Ich schaue nochmal in Buch, die Bibel und finde:
Die Geschichte steht in einer Reihe mit Gleichnissen.
2Jesus erklärte ihnen vieles von seiner Lehre in Form von Gleichnissen.
Ich denke: Gut, wir sollen die ganze Sache symbolisch verstehen. Dazu passt der dicke Auftrag, das Übertriebene, dass es auch wirklich jeder versteht. — So wie bei alten Fotos, wo ein Künstler mit Farbe und Pinsel noch einmal die Konturen eines Gesichtes nachgezogen hat, dass man auch wirklich von weitem sieht: der und der ist es, der ist da fotografiert. Kann ich nachvollziehen.
Also: dann die Geschichte als Gleichnis:
Das Boot als Lebensboot verstanden und die Reise als Lebensreise, und der Sturm, ja, als ein Ereignis, eine große Krise, die unser Leben durchschüttelt; und – so geht dann die Auslegung weiter – wenn Jesus hinten im Boot liegt, dann kann einem überhaupt nichts passieren. Wir sollen nur glauben … und ihn ggfs. mit Bitten bestürmen … Kennen Sie diese Auslegung?
Nimm Jesus in dein Leben auf und alles wird gut …?
Wunderbar.
Das ist doch eine Aussage. — Aber jetzt mal eine Frage/ zwei Fragen:
- Was sollen wir denn da tun? … „Jesus in unser Leben aufnehmen?“
Wie macht man das?
Und 2. was ist denn mit den vielen Erfahrungen, wo die Stürme unseres Lebens eben trotz aller Gebete, trotz intensiver Gebete eben nicht gestillt wurden; und wir – im Bilde gesprochen – mit den Resten und Trümmern unseres Lebens irgendwo herumkriechen und versuchen uns wieder aufzurappeln, was ist denn damit?
Ich kaue an der Geschichte herum und komme nicht weiter und merke, so funktioniert das nicht.
Ich bin neulich auf einen ganz anderen, einen unerwarteten Zugang gekommen. Manchmal kommt man in der Bibel nur weiter, wenn man sie sozusagen von anderen Stellen her auslegt, wenn man vergleicht: was war da noch… so ähnlich?
Ich habe mir also nochmal die Frage gestellt: Was bedeutet es, dass Jesus schläft? Dass Jesus ruht. Warum scheint das so wichtig? — Und ich habe mich viele kleine Notizen in den Evangelien erinnert, dass Jesus ja oft, bevor er irgendwie zu einer Menschenmenge sprach und lehrte, sich zurückgezogen hatte in die Einsamkeit, in die Stille, in die Ruhe. Gebet. Sein mit Gott. Hören auf Gott. Erst hören, dann lehren, dann tun.
Auch mitten im Sturm?
Interessanter Gedanke.
Und noch eine Assoziation: Das Boot der Fischer im Sturm, das ist ja eigentlich Arbeitsalltag. Das wilde Leben. Das lebensgefährliche Leben. Der Kampf des Alltags um Lebensunterhalt. Sechs Tage sollst du arbeiten usw. aber am 7. Tag sollst du ruhen; der siebte Tag soll Gottes Gegenwart gewidmet sein. Das Shabbatgebot unter den 10 Geboten im 2. Buch Mose ist das längste und ausführlichst begründete unter den Geboten … Du sollst in deinem Leben eine Zeit, einen Platz für Gott reserviert halten.
Wenn wir das tun, kann man damit einen Sturm anhalten?
Vielleicht später nochmal aufgreifen … schauen wir nochmal in die Geschichte:
Als Jesus also den Sturm angehalten hatte, wendet er sich um zu seinen triefenden Jüngern und er
40 fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst?
Habt ihr immer noch keinen Glauben?«4
Wie würden Sie das verstehen? Was heißt hier glauben?
Dass sie sich an Jesus in ihrem Lebensboot erinnern und sich umdrehen und ihn aufwecken und er ihnen hilft?
Aber genau das haben sie ja gemacht… Das war’s wohl nun eindeutig nicht.
Warum wirft er ihnen Angst und mangelhaften Glauben vor?
Was heißt Glauben?
Versuchen Sie mal mit mir einen radikalen Gedanken zu denken:
Kann es sein, dass Glauben heißt, sich ganz genauso, wie Jesus selber, auf Gott den Vater im Himmel zu beziehen?
Sozusagen wir und Jünger und Jesus auf Augenhöhe?
Jesus nicht als Herr, sondern der Freund und Lehrer und Begleiter?
Und wofür ist ein Lehrer da, wenn nicht dafür, dass er das, was er selber kann und weiß, seinen Schülern beibringt, damit sie einst selber in der Lage sind, das Leben zu meistern?
Ich nenne mal ein paar Stellen aus der Bergpredigt, also wie Jesus gelehrt hatte:
Mt. 5. : Ihr seid das Salz der Erde;
Ihr seid das Licht der Welt: 16So soll euer Licht vor den Menschen leuchten. Sie sollen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.
48Für euch aber gilt: Seid vollkommen, so wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!«
Oder auch dieses:
Mt 7 21»Nicht jeder, der zu mir sagt: ›Herr, Herr!‹, wird in das Himmelreich kommen. Sondern das gilt für diejenigen, die den Willen meines Vaters im Himmel tun.
Ich verstehe das so, dass der Lehrer und Rabbi Jesus will, dass seine Nachfolgerinnen und Nachfolger selbstständig beten und tun können.
Alle diese Stellen und noch viel mehr sagen, dass die Jüngerinnen und Jünger Jesu hier und jetzt verwandelt werden sollen, sich immer mehr verwandeln von einem „natürlichen“ Menschen, so heißt es in der Bibel, und gemeint ist ein Mensch, bei dem Gott nur am Rande steht, in jemanden, der immer sein ganzes Vertrauen in die Gegenwart und die Liebe des Vaters im Himmel setzt; und damit seine Lebens-Angst immer und immer mehr verliert.
So wie Jesus das auch getan hat.
Und so gesehen bekommt die Frage: Habt ihr immer noch keinen Glauben? einen ganz anderen Klang, etwa so:
Habt Ihr immer noch kein Selbstbewusstsein vor Gott, dass ihr nämlich Kinder Gottes seid? Und dass er Euch alles schenken will, was Ihr braucht und worum ihr ihn bittet?
Aber zurück zur Geschichte von der Sturmstillung.
Anscheinend begreifen die das noch nicht so richtig. Sie fürchten sich immer noch; sie fürchten sich jetzt anders:
1Aber die Jünger überkam große Furcht.
Sie fragten sich: »Wer ist er eigentlich?
Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!«
Wer ist er eigentlich?
Jesus ist der lebendige und auferstandene, der seine Schüler und Schülerinnen zu „Kindern des Lichts“ verwandelt und „wie Schafe unter die Wölfe“ losschickt in die Finsternis der Welt, damit sie diese so Stück für Stück verwandeln. Wie soll das gehen? Indem sie lehren und praktizieren und fest halten an allem, was Jesus gelehrt hat.
Und nochmal: Kann man als Jünger Stürme stillen?
Keine Ahnung. Aber vielleicht kann man einmal ausprobieren, wie anders man in den Stürmen des Lebens zurechtkommen kann, wenn man – wie Jesus aus der Stille, aus dem Gespräch mit Gott kommt.
Den Sonntag auch Sonntag sein lassen.
Vielleicht braucht das ein bisschen Übung. Ganz bestimmt.
Vielleicht nehmen wir das aus dieser Geschichte mit?
40Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst?
Ja, warum eigentlich?
AMEN