Predigt am 2. Februar 2020 – Markus 10, 35-45 (Diakon i.R. Ewald Nill)

Vor 50 Jahren, am 2.2.1970 startete Ewald Nill im Stephans-Stift Hannover seine Ausbildung zum Diakon. Seit exakt 41 Jahren ist er in seiner evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Michael Stelle in diesem Beruf aktiv, seit seinem Ruhestand in 2011 ehrenamtlich.

Im Rahmen des von Ewald Nill am 2. Februar 2020 gehaltenen Gottesdienstes dankte ihm die Vorsitzende des Kirchenvorstandes Brigitte Hillebrecht für seine Treue und den unermüdlichen Einsatz und überreichte einen Blumenstrauß. Beim anschließenden Sektempfang gab es reichlich Gelegenheit zum Plausch.

 

 

 

 

 

 

Predigt am 2. Februar 2020 – Markus 10, 35-45 (Diakon i.R. Ewald Nill):

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und

unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Freunde im Glauben,

 

„Womit habe ich das verdient?“

Ist Ihnen / Euch diese Frage vertraut? Nicht wenige treibt diese Frage immer wieder um:

Womit habe ich das verdient?

 

Womit habe ich das verdient, dass mir gekündigt wurde, dass der Betrieb vor die Hunde geht, dass andere und nicht ich weiterkommen – ich arbeitslos werde?

Womit haben sie das verdient, dass man ihnen schon wieder den Schlafplatz unter einer Bank in der Mönckebergstraße streitig macht und sie regelrecht vertreibt.

Womit habe ich das verdient, dass ich keine behütete Kindheit hatte und dass mir manche Chance einfach vorenthalten wurde?

Womit habe ich das verdient, dass ich nicht mehr eingeladen und dass ich auf dem Schulhof gemieden werde, dass man mich über die sozialen Medien fertig macht – dass ich gemobbt, geoutet werde?

Womit habe ich das verdient, dass ich so schwer er-krankt bin – dass ich ein Handicap habe?

Womit habe ich das verdient, dass meine Kinder sich von mir abgewendet haben, dass mein Partner sterben muss-te, dass ich von einem Schicksalsschlag auf den anderen so gebeutelt werde?

Womit habe ich das verdient?

Wenn wir so fragen, dann geht es um Wesentliches.

Es geht um Gerechtigkeit, es geht aber auch um die Bewertung der eigenen Person, dessen was ich eingebracht und getan habe – wofür ich mich immer wieder eingesetzt habe.

Dieses zieht sich durch bis in die Gegenwart, wo unpopuläre Meinungen nicht mehr fair ausdiskutiert werden, sondern wo gleich massiv gedroht wird – jüngste Beispiele würden hier ganze Bände füllen.

 

Womit habe ich das verdient?

Diese Frage stellt sich kaum jemand, der auf der Sonnenseite des Lebens lebt. Und sie stellt sich auch kaum jemand, dessen Hemd so im Winde flattert – gerade so, wie es bequem ist und bekömmlich und der Mensch sich von daher in Sicherheit wiegt.

Aus dem Grunde ist es auch eigentlich keine Frage – sie ist vielmehr eine Anklage.

Eine Anklage gegen das Leben, gegen die Mitmenschen und die Gesellschaft, gegen das Schicksal – und gegen Gott.

 

Womit habe ich das verdient – eigentlich bedeutet das: Was ich gerade erleide, das habe ich doch nicht verdient!

Das ist ungerecht! Ich habe doch nichts getan, was mein Schicksal rechtfertigen würde!

Herbert Grönemeyer beschreibt genau das in seinem Lied: „Das Leben ist unfair“ – so hat er es im Angesicht von eigenem Leid erfahren.

Das Leben – so haben es viele Menschen von klein auf gelernt – ist ein Tauschhandel. Wenn du dies tust, dann bekommst du das. Geben und Nehmen, Leistung und Gegenleistung, – all das gehört für uns selbstverständlich zum Bauplan menschlichen Lebens und des Zusammenlebens dazu.

Du bekommst, was du verdienst“, so lautet die daraus resultierende, gnadenlose, soziale Logik, die unser Zusammenleben weitestgehend bestimmt.

Und so ist es selbstverständlich, dass wir nicht nur vom

Ergebnis her fragen: „Womit habe ich das verdient“, sondern

schon viel früher ansetzen, noch bevor wir etwas tun und fragen: „Was bringt‘s mir?“ „Was bringt’s mir?“.

 

Diese Überlegung steht auch hinter der Frage, mit der die bei-den Brüder Jakobus und Johannes auf Jesus zukommen.

Ihr Thema ist die Nachfolge. Was bringt es mir, dass ich dir nachfolge?

Der Evangelist Markus berichtet davon im bereits gehörten Text.

 

Jakobus und Johannes kamen mit einem Anliegen zu Jesus und sprachen: „Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.“

Er sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich für euch tue?“

Sie sprachen zu ihm: „Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.“

Jesus aber sprach zu ihnen: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“

Sie sprachen zu ihm: „Ja, das können wir.“

Jesus aber sprach zu ihnen: „Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.“

Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“.

 

„Was bringt’s mir?“ – das fragen Jakobus und Johannes ihren Meister. „Was bringt’s mir, wenn ich dir nachfolge?“.

Die Frage ist berechtigt, denn beide – Jakobus und Johannes – haben nach den Worten Jesu schon verstanden, dass die Nachfolge Jesu für sie kein leichter Weg bedeuten würde.

Sie haben verstanden, dass Jesu Botschaft von der Liebe Gottes unweigerlich ein Konflikt bedeuten würde.

Das haben die beiden verstanden, doch darüber hinaus erklären sie hier auch ihre Bereitschaft und ihr Durchhaltevermögen, in der Nachfolge Jesu zu bleiben.

Für uns fast zu euphorisch antworten sie auf Jesu Frage, ob sie wirklich zur Nachfolge bereit wären klar und entschieden: Yes, we can! Ja – wir können, vielleicht auch verbunden mit dem festen Vorsatz: Ja, wir wollen – Yes, we will.

Doch gerade darum haben sie ein Recht darauf, zu wissen, ob sich dieser große Einsatz auch für sie lohnen würde – zumindest in einer anderen Welt.

 

Und das Erstaunliche für sie ist, dass Jesus die beiden deshalb nicht kritisiert – ganz im Gegenteil zu ihren Jünger-Kollegen, die hinter der Frage der beiden sozusagen kleinliche Machtspiele vermuten und darum verärgert reagieren.

Jesus schlägt ihre Bitte auch nicht als unerfüllbar ab – er verweist nur darauf, dass dies allein Gottes Entscheidung ist.

 

Ja – diese Frage: Was bringt es mir – hat mich genau heute vor 50 Jahren zu Beginn meiner Ausbildung zum Diakon nicht beschäftigt. Was bringt es mir? – lohnt es sich, was habe ich davon? – war nie aktuell, weder damals am 2. Februar 1970 als auch heute. Eher war es am Anfang ein wenig Wagnis der Liebe Gottes und ein Herantasten an die unendlichen Geschichten in 66 Büchern der Bibel, dann aber die feste Zuversicht und die Hoffnung, in der späteren Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Jesu Zusage: Ich bin immer bei Euch alle Tage – komme was will … ganz konkret im persönlichen Miteinander vor Ort umzusetzen.

Von Anfang an war es mir wichtig, die Menschen nicht aus den Augen zu verlieren, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen – zunächst in den ersten Jahren in Hannover, dann aber auch mich denjenigen in unserer Gemeinde zu widmen, die ein wenig abseits stehen und leben – den Kindern und Jugendlichen, die aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte darunter auch leiden, nicht so perfekt sein zu können, wie es vielleicht andere von ihnen erwarten und u.a. auch denjenigen unter uns, die in der Pflege zuhause und in den Heimen vor Ort ihr Leben leben.

 

Liebe Schwestern und Brüder …

Wer in seine Nachfolge tritt, dem sollte klar sein, dass er in Konflikt mit den herrschenden Verhältnissen geraten wird – und das gilt bis in unsere eigene Zeit.

  • Ich denke da auch an Schüler, die bewusst sich für das Fach Religion in der Schule entscheiden
  • Ich denke zurück an die Kinder und Jugendlichen in der ehemaligen DDR, die bewusst das Angebot der Jugendweihe ausgeschlagen und stattdessen das Angebot im Religions- und Konfirmandenunterricht angenommen haben mit all den Konsequenzen der damali-gen Zeit.
  • ich denke an unsere Konfirmanden, die am Unterricht teilnehmen, die auf den Konfirman-denfreizeiten die Grundsätze des Glaubens aufgrund der biblischen Berichte kennen-lernen und (so Gott will) für ihr späteres Leben ein wenig gerüstet, vorbereitet sind.
  • Ich denke auch schon an den Tag der Konfirmation, wo einem jeden von Euch der Segen zugesprochen wird mit den Worten: „Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist gebe Dir seine Gnade, Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, dass Du bewahrt wirst zum Ewigen Leben“.

Jesus sagt – und ich wiederhole es an dieser Stelle noch einmal bewusst:

„Wer in seine Nachfolge tritt, dem sollte klar sein, dass er in Konflikt mit den herrschenden Verhältnissen geraten wird.“

Das macht er auch den anderen Jüngern klar, die noch weniger als die beiden Brüder verstanden haben, worum es eigentlich geht.

In der Nachfolge Jesu können sie nicht die Kategorien von Lohn und Leistung, von Macht und Rang, von Ansehen und Ehre heranziehen.

In der Nachfolge Jesu müssen sie sich auf ganz andere Prinzipien einlassen, die der gewohnten Logik völlig entgegenstehen.

 

„Womit habe ich das verdient?“

Jesus selbst nimmt auf sich, was er nicht verdient hat, damit aus der alten Logik eine neue Perspektive erwachsen kann.

Und damit stellt Jesus die Dinge radikal auf den Kopf – ohne Wenn und Aber.

Bei ihm gilt eben nicht mehr: Du kriegst das, was du leis-test, sondern: Du bekommst das, was du brauchst. „Womit habe ich das verdient?“

 

Diese Frage fallenzulassen fällt schwer. Schwer deshalb, weil sie die Frage nach der Gerechtigkeit aufwirft.

Und es gibt wahrlich vieles, was nicht gerecht ist, was wir, was so viele Menschen, die unter den Verhältnissen dieser Welt leiden, nicht verdient haben.

 

Doch vielleicht gelingt es auch, die Frage beiseite zu legen, ohne darum das Ringen um Gerechtigkeit aufzugeben.

Denn die Nachfolge Jesu will uns eben wegführen von jener Logik, die unser Leben und unsere Gesellschaft so unbarmherzig prägen und die so vielfältiges Unrecht hervorgerufen hat.

„So soll es nicht sein unter euch“ sagt Jesus den Jüngern.

 

Wenn wir als Christen, als Gemeinde und als Kirche ehrlich

sind, dann müssen wir gestehen, dass wir bis auf den heutigen

Tag immer wieder neu beginnen müssen, zu begreifen und zu

leben, was Jesus uns damit sagt.

„Ihr sollt miteinander anders umgehen“, sagt er.

„Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;

und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller

Knecht sein.“ Macht es wie ich, sagt er.

 

Jesus bietet Liebe an, die verschwenderische Hingabe ist.

Er bietet den Jüngern und uns einen Platz im Himmel:

Es ist der Platz neben dem Nächsten, der Not leidet.

Wer der Erste sein will, der mache sich selbst zum Diener.

Vielleicht gelingt es uns, die Macht der Liebe Gottes für

uns neu zu erkennen, im persönlichen Füreinander und

Miteinander.

 

Ein Gebet des Franziskaner Mönch Franz von Assisi mag das für uns deutlich

machen, in dem er sagt:

Herr, mach Du mich zum Werkzeug Deines Friedens,

   – dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,

  • dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,
  • dass ich verbinde, wo Streit ist,
  • dass ich die Wahrheit sage, wo bewusst oder unbewusst die Unwahrheit gelebt wird,
  • dass ich Freude bringe, wo der Kummer ist und
  • dass ich ein Licht der Hoffnung entzünde, wo Menschen traurig sind.

 

Amen.