Predigt am 15. 11. 2015 /St. Michael 21435 Stelle
Matthäus 25
31 »Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und mit ihm
alle Engel, dann wird er in königlichem Glanz auf seinem Thron Platz nehmen.
32 Alle Völker werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen
in zwei Gruppen teilen, so wie der Hirte die Schafe und die Ziegen voneinander
trennt. 33 Die Schafe wird er rechts von sich aufstellen und die Ziegen links.
34 Dann wird der König zu denen auf der rechten Seite sagen:
›Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz,
das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist.
35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen;
36 ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben;
ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert;
ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.‹
37 Dann werden ihn die Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn
hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken
gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden bei uns gesehen und haben dich
aufgenommen? Oder wann haben wir dich gesehen, als du nichts anzuziehen
hattest, und haben dir Kleidung gegeben? 39 Wann haben wir dich krank
gesehen oder im Gefängnis und haben dich besucht?‹
40 Darauf wird der König ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr für
einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen
–, das habt ihr für mich getan.‹
41 Dann wird er zu denen auf der linken Seite sagen:
›Geht weg von mir, ihr seid verflucht! Geht in das ewige Feuer, das für den
Teufel und seine Engel vorbereitet ist! 42 Denn ich war hungrig, und ihr habt
mir nicht zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken
gegeben; 43 ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich
hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war
krank und war im Gefängnis, und ihr habt euch nicht um mich gekümmert.‹
44 Dann werden auch sie fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn hungrig
oder durstig gesehen oder als Fremden oder ohne Kleidung oder krank oder im
Gefängnis und haben dir nicht geholfen?‹
45 Darauf wird er ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr an einem
meiner Brüder zu tun versäumt habt – und wäre er noch so gering geachtet
gewesen –, das habt ihr mir gegenüber versäumt.‹ 46 So werden sie an ´den
Ort` der ewigen Strafe gehen, die Gerechten aber werden ins ewige Leben
eingehen.«
Liebe Gemeinde,
ich glaube, an dieser Geschichte gibt es nicht viel zu diskutieren:
Das Bild, das hier geschildert wird, ist klar und deutlich:
Jesus sagt: Am Ende der Tage, wann auch immer das sein wird, finden sich die
Menschen in einer Art Gerichtssituation vor; und sie werden dort nach ihren
Taten, nach ihrer Lebensbilanz einsortiert: Zum ewigen Leben oder zum „Ort
der Strafe“. Himmel oder Hölle. Das heißt:
Im himmlischen Thronrat wird einmal jedem Menschen durch den König
(=Gott) eine unbestechliche, unkorrigierbare Abrechnung des gelebten Lebens
präsentiert werden.
Das ist die Botschaft dieser Geschichte.
Du erntest, was du gesät hast. Du bekommst, was du an Barmherzigkeit
gelebt hast.
Nach den Nachrichten vom Freitag auf Sonnabend. Nach den über hundert
Toten in Paris; auf die Berichte von den Mördern dieser Menschen, dürfte das
fast eine beruhigende Botschaft sein, denn das bedeutet ja: Die werden jetzt vor
ihrem ewigen Richter stehen. Ich glaube das. Ich halte dafür.
Aber reicht diese Vorstellung, um das Leid, die Wut, die Trauer zu
überwinden? — Ich weiß nicht.
Dieses Bild Jesu vom letzten Gericht ist jedenfalls nicht erzählt worden, um den
Gerechten zu sagen, dass sich Gerechtigkeit lohnt und die Ungerechten dereinst
auf ewig auf kleiner Flamme geröstet werden.
Die Pointe dieser Geschichte liegt sogar darin, dass die Gerechten und die
Ungerechten gar nicht genau wissen, wann und wo sie denn in rechter Weise
gehandelt haben. Gott gerecht werden oder eben nicht, geschieht unbewusst.
Gleichzeitig macht uns die Geschichte bewusst, wie Gerechtigkeit geschieht.
Viele von uns haben Bilder aus dem Mittelalter im Sinn, die ja immer begleitet
und geleitet werden von dieser ganz großen Angst, in der Hölle zu landen, weil
man im Leben irgendwas versäumt, irgendwas verkehrt gemacht hatte;
witzigerweise gilt das auch für die, die vorgeben, nichts zu glauben…
Ich habe gelernt, was einer sagt und was einer wirklich glaubt, können oft ganz
verschiedene Paar Schuhe sein.
Hier am Ort war es mal ganz wichtig – ob jemand den richtigen oder falschen Glauben hatte. Unsere
Vorfahren hier im Ort haben sich ja noch gegenseitig die Rechtgläubigkeit
abgesprochen. Es kommt aber, so sagt es Jesus ganz klar, nicht auf den richtigen
Glauben, sondern auf das rechte Tun an … Das gilt auch für Evangelische …
vor Gericht am Ende der Tage.
Man hat mit der Angst davor viel Schindluder getrieben und Menschen unnötig
bedroht; oft aus dem einfachen Grund, sie sich irgendwie gefügig zu machen.
„Gottes Aug ist überall, drum raub mir nicht mein Lineal.“ Ich kenn auch noch
Prediger, die kannten sich in den Katakomben der Hölle offenbar bestens aus
… Auf der anderen Seite, wie hieß das bei Karl Marx? … „Religion ist Opium
fürs Volk.“ Man muss zugeben: Diese Kombination von Drohung und
Verheißung war sicher lange Zeit eine wirkungsvolle Waffe von Obrigkeit im
Verein mit Geistlichkeit gegen Rebellionsgelüste unzufriedener Untertanen.
Das Spiel mit der Angst.
Aber bedeutet dieser Missbrauch des Namens Gottes, diese Drohung mit der
Macht und dem Zorn Gottes, dass es damit einfach gar nichts auf sich hat?
Dass man die Vorstellung vom Gericht am Ende der Tage getrost über Bord
werfen sollte, so wie es in diesen Zeiten ja klammheimlich unter der Hand in
vielen evangelischen Gemeinden geschieht? Sei es aus Scham über den
Missbrauch, oder auch – es gibt ja einige Motive – aus Scham über die
Vorhaltungen, dass man an einer mittelalterlichen Vorstellung hänge, oder auch
aus Überzeugung, dass zu einem liebenden Gott die Vorstellung einer ewigen
Verdammnis nicht passt?
In Taizé haben sie aus einem Lied, das den Titel „Gott ist die Liebe“ trug, den
Titel geändert in „Gott ist nur Liebe“ …
Ich würde das nicht wagen.
Gerichtsverkündigung ist keine Nebensache in der Predigt Jesu.
Und die Frage an uns heute morgen ist: Was bedeutet es für uns, dass wir es mit
einem Gott zu tun haben, der nicht einfach nur „der liebe Gott“ ist?
Wie gehen wir nun auf die uns vorgelegte Geschichte vom Weltgericht zu?
In Jesu Erzählung vom Weltgericht, wird ja etwas ins Bewusstsein gerückt, das
vielen verborgen bleibt:
Was qualifiziert denn eigentlich den Menschen für das Himmelreich?
Und die Antwort ist nicht: Du musst diese und jene Vorschrift Gottes
einhalten, oder du musst einen bestimmten Ritus oder ein Opfer bringen,
sondern es gilt etwas, was uns nach 2000 Jahren Christentum gar nicht mehr
auffällt: Dass nämlich Gottesdienst gleich Menschendienst ist. Gott verknüpft
sein Dasein und seine Gegenwart mit den Menschen, die arm dran sind.
35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen; …
u.s.w.
Und das ist revolutionär.
Wo ist Gott?
Wir kennen das vielleicht: Der Zweifel scheint sich immer im Schatten der
Eingangstür des Glaubens herumzudrücken. Und ist allzeit bereit
hervorzuspringen. Wo ist Gott?
Philosophen, Gelehrte und auch Theologen konnten mit vielen Büchern den
Zweifel nicht besiegen.
Jesus sagt: Ihr begegnet Gott – unter Umständen jeden Tag – und ihr merkt es
nicht. Ihr erkennt ihn nicht. — Wo bitte sehr? Ganz einfach:
35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen;
u. s. w.
Ich glaube es ist uns klar, dass diese Worte unglaublich aktuell sind. Wir
werden zurzeit ja gerade heimgesucht von Massen von Fremden. Und ich
glaube, gerade wir hier in unserem Ort dürfen sogar ziemlich stolz darauf sein,
auf welch vielfältige Weise sich Menschen berufen fühlen, diese Fremden
willkommen zu heißen und ihnen Brücken in unserem Alltagsleben zu bauen.
Eigentlich genau das, was Jesus meinte, als er sagte:
Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen etc.
Begegnet uns nun Gott in diesen Fremden?
Und die Antwort ist ja!
Und die Antwort ist: wir werden ihn trotzdem nicht erkennen. Jedenfalls nicht
so, wie wir ihn uns vorstellen.
Wir treffen unter den Flüchtlingen dankbare Menschen und wir treffen
Menschen, denen die Hilfe nicht gut genug ist. Wir treffen Menschen.
Wir sind Menschen. Die Atmosphäre im Helferkreis ist oft bis zum Zerreißen
gespannt, weil natürlich auch Ehrenamtliche nichts als sich selbst „mitbringen“:
Rechthaber, Wutbürger, Ungläubige und Christen. Alles dabei.
Gottesdienst ist was anderes … !
Und dennoch glaube ich, dass in mitten und unter allen Dingen Gott ist.
Und – das darf man vielleicht gar nicht sagen, ohne auf vielfache Weise gut
begründeten Widerspruch zu hören – ich sage es trotzdem:
Es könnte sein, dass diese gigantische Flüchtlingswelle vielen von uns zu einem
neuen Zugang zu den Wurzeln des Glaubens verhilft, in denen ja auch die
sogenannten vielbeschworenen und fast völlig ausgehöhlten Werte des
sogenannten christlichen Abendlandes zu finden sind.
Die Flüchtlinge könnten uns zum Segen gereichen.
Und dann hätte sich auf eine geheimnisvolle Weise hier an Ort und Stelle das
ereignet, was Jesus in seiner Darstellung des Weltgerichtes erwähnt.
Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben;
ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen;
u.s.w.
Wir haben es nicht mit einem „lieben Gott“ zu tun, der alle Schwierigkeiten und
Widrigkeiten und alles Leid von uns und anderen abschirmt. Bestimmt nicht.
Wir haben es nicht mit einem Gott zu tun, der uns jede Verantwortung in
unserem Leben abnimmt und uns sozusagen bewusstlos ins Himmelreich
überführt. Wir sind in jeder Minute selbst verantwortlich, wie wir unser Leben
gestalten; wir sind sogar für unseren Glauben und unsere Zweifel
verantwortlich; selbst dann, wenn andere diese Zweifel hervorrufen …
Aber wir haben einen Gott, der in mitten und unter allen Dingen heilen will
und kann. Wir haben es mit einem liebenden Gott zu tun. Das heißt: Er will
nicht ohne uns. Nicht ohne unser Erbarmen.
Das heißt im Umkehrschluss: Überall, wo Erbarmen geschieht, geschieht Gott.
34 Dann wird der König zu denen auf der rechten Seite sagen:
›Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz,
das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist.‹
Wir sind eingeladen, dabei zu sein.
Ich glaube, dass keiner ausgeladen ist, der sich nicht selbst auslädt.
AMEN
© Kai-Uwe Hecker, Pastor in Stelle