Emma Gonzalez hielt die größte und beeindruckendste Rede, die ich je gehört habe: Vor geschätzt 800.000 Zuhörern trat sie letzten Sonnabend in Washington ans Rednerpult und zählte auf, wen der Mörder bei einem Amoklauf an der Highschool in Parkland /Florida in ca. 6 Minuten und 20 Sekunden mit einem Automatik-Gewehr totgeschossen hatte:
6 Minuten und 20 Sekunden, sagte sie: und …
„…meine Freundin Carmen wird sich nie mehr bei mir über den Klavierunterricht beschweren.
Aaron Feis wird Kira nie mehr „Miss Sunshine“ nennen.
Alex Schachter wird nie mehr mit seinem Bruder Ryan zur Schule gehen…“
und … so … ging … das … weiter.
17 Namen zählt sie auf.
Alle tot.
Ausgelöschte Leben.
Getötete Hoffnungen.
Abgebrochene Zukunft.
Und dann schweigt sie.
——
Ein schier nicht enden wollendes Schweigen.
Alle blicken auf sie.
Und sie starrt ins Leere.
Ab und zu rinnen Tränen über ihr Gesicht.
Die Kamera bleibt eingeschaltet.
Ab und zu rufen irgendwelche Sprechchöre irgendwas.
Es wird gepfiffen.
Zwischenrufer.
Aber dann ist wieder Stille.
Irgendwann im Endlosen fiept ein Wecker.
Sie sagt: … 6 Minuten und 20 Sekunden. Six minutes, Twenty seconds…
6 Minuten und 20 Sekunden Schweigen.
Ein Schweigen, in dem alles zum Schweigen kam.
Offenbar hatte es selbst den geübten Demagogen der National Rifle Association für einen Moment/d.h. knapp einen Tag die Worte verschlagen.
Von den Putinischen Berufslügnern kam erstmal nichts.
Den notorischen Wutschreibern, die Zeitungsforen mit schneller Rechthaberei fluten, fiel auch nicht sogleich etwas ein.
Donald Trump war vorsichtshalber zum Golfen geflogen.
Es war ein Moment, in dem – gefühlt – die Welt stehen blieb.
Ein Moment, in dem das nackte Böse demaskiert vor Augen stand.
Zynisch, verlogen, mörderisch; in dieser Reihenfolge.
In einem Moment von unwiderlegbarer, klarer Wahrheit.
LUKAS 23
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Es war ein Moment, wo alles stehenbleibt.
Ich stelle mir vor, wie an dieser Stelle auch alles verstummte.
Das Entsetzen nach dem Grauen.
Alles Böse dieser Welt hatte sich an diesem einen Menschen am Kreuz entladen, es war an sein Ziel gekommen, die Pöbelei ist verstummt.
Jetzt hängt da nur noch ein nackter, toter Körper.
Und da – so stelle ich mir das vor – macht sich ein Schweigen breit, in dem wirklich nur noch die pure, klare Wahrheit zu Wort kommen darf.
Und diese auszusprechen sollte einem heidnischen Hauptmann vorbehalten bleiben:
47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!
48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
Der Pöbel verzieht sich. Bis auf weiteres ein bisschen betroffen, gewöhnlich feige, nach dem Motto: Hoffentlich kriegen wir keine Konsequenzen ab;
mal sehen, was morgen so Spannendes anliegt.
Und anderen standen Tränen in den Augen.
49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
… und dann gingen auch sie.
Schnell weg.
Man weiß ja spätestens jetzt, wozu die da fähig sind.
Und die Stille, der atemlose Schrecken, dauert
nicht lange an, es wurde – man weiß ja, wie‘s geht- alsbald an Sprachregelungen und Dementis gefeilt.
Der Kampf um die Deutungshoheit.
Das Gotteslästerungsthema sollte man in den Vordergrund rücken!
Und hat er nicht zuerst Gewalt geübt, als er im Tempel randalierte?
Vorsorglich sollte die Leiche bewacht werden, man konnte ja nie wissen.
Das Volk wird schnell vergessen.
Die Drohkulisse steht und wird helfen.
Emma Gonzalez wurde als Extremistin bezeichnet.
Dafür, dass sie so klar erklärte, was Waffen anrichten, die jeder
in Amerika frei kaufen kann.
Dafür, dass sie sagte: Es reicht jetzt – sorgt dafür, dass
die Waffen verschwinden.
Dafür, dass sie fragt: Wie viele Tote wollt ihr noch?
Für ihr mächtiges Schweigen.
Verschwörungstheorien werden zusammengeflüstert.
Nach zwei Tagen bringen sie ein gefälschtes Foto von ihr in Umlauf.
Darauf zerreißt sie die amerikanische Verfassung. Was sie nie getan hatte.
– 800.000 Schüler gegen Waffen, es kann doch nicht sein, dass die eine solche Massendemo allein auf die Beine kriegen?
– 800.000 Schüler, die sollten doch besser ihre Energien in einen Erste-Hilfe-Kurs stecken, meinte Senator Rick Santorum ein frommer Mann.
Ausgesprochen fromm.
Frömmigkeit schützt vor Bosheit nicht.
Ich kann es verstehen, wenn Emma Gonzalez sagt, sie sollten sich ihr Christentum wohin stecken …
Gleichzeitig stimmt mich das traurig, denn ich ahne, dass hier wieder eine Generation des Unglaubens heranwächst, die allein deshalb im Unglauben verharren wird, weil sie von Christus nur eine Karikatur kennt.
Übrigens: Jeder Unglaube bezieht sich immer auf das gerade herrschende Gottesbild …
Jesus wurde von frommen Leuten dem Tode preisgegeben, ausgesprochen auserwählt frommen Leuten.
Ich möchte nun nicht behaupten, dass die Lieblingslarve des Bösen das Fromme sei, das möchte ich nicht behaupten; ich glaube, ich würde falschen Beifall erhalten von Leuten, auf deren Zustimmung ich verzichten kann.
Ich denke, das Böse verbirgt sich einfach gerne im Gängigen, Banalen.
Ich vermute, es ist eher das glitzernde PlingPling, das Prestige, das Massenhafte. Das Böse fühlt sich wohl in gefühlter oder echter Mehrheit.
Und wenn die gerade fromm redet, dann redet es fromm.
Und wenn die Mehrheit gerne mal rechts ist oder links, was immer das heißen soll, dann ist das Böse da auch.
Man erkennt es immer daran, dass es plötzlich bedenkenlos bereit ist zum Mord …
Und nun soll es genug sein.
Es reicht jetzt.
Die vielen Toten, angeblich im Namen der Freiheit.
Freiheit, die einfach nur immer Wildwest war:
Das Recht des Stärkeren.
Das Recht der schamlos Reichen.
Es reicht jetzt.
So hofften sie, die damals am Kreuz standen.
Sie befürchteten das Gegenteil.
So wie man in dieser Welt offenbar immer das Gegenteil befürchten muss, wenn man hofft, dass nach etwas ganz Schlimmen eine bessere Zukunft folgt.
Indes:
Man kann sehen, was ein Mensch glaubt und hofft, wenn man sieht, was er tut.
Die Jünger flüchteten.
Dahin, wo sie herkamen.
Der Tod Jesu am Kreuz war zu viel für ihre letzte Hoffnung.
Wir wissen:
Nach drei Tagen sah man sie anders.
Unverborgen.
Offen.
Plötzlich mutig.
Wir wissen im Nachhinein: sie waren dem Auferstandenen begegnet.
Man kann es am Mut erkennen.
Man kann es erkennen, dass sie plötzlich glauben, was sie zuvor nur hofften:
Dass es genug war.
Glauben erkennt man am Mut.
Noch viel später fanden sie Worte, Deuteworte für das, was Jesus, und
später für das, was ihnen geschehen war.
Antwortversuche auf die Frage:
Warum musste das soweit kommen?
Und eine Antwort war die:
Hebräer 9
Jetzt … am Ende der Zeiten …[ist er – ich ergänze – Gott in Gestalt Jesu] ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen.
27 Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt,
28 so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinweg zu nehmen;
beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern
um die zu retten, die ihn erwarten.
Es ist genug.
Es braucht kein zweites Opfer, um die Sünde zu demaskieren.
Es braucht kein zweites Opfer, um Menschen in das ewige, wahre Leben hinüber zu retten.
Er hat den Tod überwunden, indem Gott ihn auferweckt hat.
Seither ist Mut die angemessene Haltung.
Wie gesagt: wahren Glauben erkennt man am Lebensmut, an der Hoffnung.
Zugespitzt gesagt: vielleicht haben wir in dem Marsch für das Leben der 800000 Schüler vor einer Woche das Gesicht des verborgenen Christus entdecken können. Es würde passen:
Wie genau nämlich in dem Moment der größten Demütigung ein neuer Mut wächst, der offensichtlich nicht zu zerstören war.
Wir sollten es hoffen.
Glauben.
Jesus kommt, um … um die zu retten, die ihn erwarten.
AMEN