Eine alte Geschichte erzählt vom Bau und von der Einrichtung des ersten Tempels Israels.
Durch jede der antiken Zeilen spricht Stolz und feierliche Freude:
(2. CHRONIK 5)
Also wurde alle Arbeit vollbracht, die Salomo am Hause des HERRN tat.
Und Salomo brachte hinein alles, was sein Vater David geheiligt hatte, und
legte das Silber und Gold und alle Geräte in den Schatz im Hause Gottes.
Das ist die Überschrift…
Und dann wird in allen Einzelheiten geschildert, wie die Priester an erster Stelle die „Bundeslade“ in den neu gebauten Tempel hineintrugen; also die Kiste mit den Gebotstafeln, die Mose auf dem Berg Horeb erhalten hatte. Der Platz, wo sie stehen sollte, wird genaustens beschrieben und bemessen; und ebenso penibel wird erwähnt, dass man auch nicht vergaß die Utensilien des alten Zeltes, in dem die Lade hunderte von Jahren an verschiedenen Orten aufgestellt war, dazu zu legen. Man muss wissen: Gott führte, wenn man das so salopp sagen darf, bis dahin so eine Art Camping-Dasein. An Stangen wurde die Kiste mit ihrer heiligen Fracht immer dorthin getragen, wo man sie brauchte; untergestellt eben in einem Zelt. Für die Menschen des Volkes Israel war dies Jahrhunderte lang der Ort, an dem Gott wohnte.
Es scheint als hätten die Menschen immer an der Armut dieser Verhältnisse gelitten.
Eine andere Erzählung daneben aus der gleichen Zeit meint, dass aber dies doch fast die angemessenste Form sei, Gott zu „lokalisieren“, weil sie nämlich eine Sensibilität dafür bewahrt, dass man Gott natürlich nicht festhalten, einschließen, begrenzen kann.
Beides steht nebeneinander. Beides ist richtig.
Gott ist gegenwärtig, unglaublich nah, einerseits – und andererseits größer als alles, was Mensch sich ausdenken kann. Das ist die spannungsreiche Erfahrung aller Gottsucher in allen Religionen.
Und so sollte dann auch ein Tempel als eine nicht weniger prekäre Unterkunft für Gott anzusehen sein, denn ein Zelt. Auch das ist eine Botschaft aus dieser alten Erzählung.
Gleichwohl freuen sie sich jetzt über das neugebaute Haus Gottes — ungefähr so, wie sich einfache Leute über die Dinge freuen, auf die sie lange sparen mussten und sich jetzt – endlich – leisten konnten:
Genauestens aufgeführt werden die Menge und der Wert der Tieropfer;
bis ins Detail wird das Tun und die Kleidung der Tempelsänger erzählt.
Aber dann erst geschieht das Entscheidende, die alte Chronik beschreibt es so:
Es klang wie aus einem Mund, als sie alle miteinander den HERRN priesen mit den Worten:
»Der HERR ist gut zu uns, seine Liebe hört niemals auf!«
In diesem Augenblick erfüllte eine Wolke den Tempel, das Haus des HERRN.
Die Priester konnten ihren Dienst wegen der Wolke nicht fortsetzen, denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das ganze Heiligtum. (2. Chronik 5, 13-14)
Was vor unserem neuzeitlichen inneren Auge wie eine filmische Inszenierung einer „Harry-Potter-Szene“ vollziehen mag – die „Wolke“ und die „Herrlichkeit Gottes“ – haben aber in der religiösen Tradition Israels und der Mystik eine ganz bestimmte Bedeutung:
„Die Wolke“ enthält all das, was Gott dem Menschen als Eindruck des Heiligen geben kann:
Nähe, Präsenz, Gottesreich und damit Ruhe, Glück, Zufriedenheit.
Es ist dieser Zustand, den Mystiker aller Zeiten und aller Religionen suchen und alles dafür geben, um ihn zu finden. Absolute Gegenwart und Realität. Die Anders-Artigkeit und doch Gegenwart Gottes. Dafür steht die Wolke. Und wenn es dazu heißt: die Wolke sei erfüllt von der „Herrlichkeit“ Gottes, dann soll das heißen: das alles ist nicht nur ein flüchtiger Traum, sondern es hat Gewicht und Bedeutung.
Soll heißen: Ein Tempel oder eine Kirche sind nicht einfach per se das „Haus Gottes“ und schon gar nicht ein -wie auch immer eingerichtetes – Museum der Erinnerungstücke. Erst der Geist Gottes macht es zu dem, was es sein soll: eben tatsächlich der Ort, wo Gott wohnt.
Das ist die Botschaft aus der uralten Erzählung von der Einrichtung des ersten Tempels.
Schlecht für den Denkmalsschutz und gut für’s Leben!