Predigt am 08.07.2018
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen – Amen.
Um Gott als Schöpfer und um die Schöpfung soll es heute gehen. Das ist der zentrale Gehalt des sogenannten ersten Artikels unseres Glaubensbekenntnisses:
„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“
Als ich darüber nachgedacht habe, ging auch mein erster Zugang interessanterweise über die Konfirmandinnen und Konfirmanden – ähnlich wie bei meiner Kollegin letzten Sonntag. Denn das ist ja die Gruppe der Gemeinde, mit der man noch am ehesten über das Glaubensbekenntnis ins Gespräch kommt. Mit denen, die das schon auswendig können, reden wir eher selten darüber – schade eigentlich.
Wenn wir uns also im Konfirmandenunterricht mit diesem Text beschäftigen, so legen wir ihn zunächst in der richtigen Reihenfolge hin. Dann bekommen die Konfirmanden so kleine Kärtchen mit Ausrufezeichen, Fragezeichen und kleinen Bömbchen.
Die Ausrufezeichen sollen sie zu den Stellen legen, die ihnen wichtig sind, die sie gut nachvollziehen können, wo sie voll dahinterstehen.
Die Fragezeichen werden dort abgelegt, – klar – wo offene Fragen sind.
Und die Bömbchen dort, wo sie echten „Zündstoff“ sehen, also das meiste Konflikt- oder Widerspruchspotential.
Warum erzähle ich das heute und hier?
Nun, weil mit schöner Regelmäßigkeit in allen Jahrgängen die meisten Fragezeichen und Bömbchen an zwei oder drei Stellen liegen.
Sie ahnen, an welchen?
Bei der Schöpfung und bei der Auferstehung vor allem, und manche noch bei der Jungfrauengeburt.
Bei der Schöpfung ist das große Problem für die Jugendlichen, dass das mit den sieben Tagen, wie es in der Bibel steht, dem zu widersprechen scheint, was sie im Biologieunterricht in der Schule über die Evolutionstheorie lernen: Dass sich das Leben nach und nach entwickelt hat, irgendwann aus dem Wasser an das Land ging; der Einzeller entwickelte sich in Jahrmillionen bis zum Homo sapiens.
Und wir wissen, zu welch erbitterten Auseinandersetzungen das vor allem im Amerika des letzten Jahrhunderts geführt hat – diese Auseinandersetzung zwischen den Kreationisten auf der einen Seite und den Naturwissenschaftlern auf der anderen Seite.
Und beide Seiten verlieren sich häufig in Überzeichnungen, Klischees und Polemik. Die einen sagen: Die Evolutionstheorie ist vom Teufel und darf keinesfalls an den Schulen gelehrt werden.
Die anderen ziehen jeden Glauben an einen Schöpfergott ins Lächerliche und versuchen, als Parodie die Religion des Fliegenden Spaghettimonsters ins Leben zu rufen, um damit allen deutlich zu machen, für wie absurd sie jede Art von Glauben und religiöser Praxis halten.
Aber Glauben und Naturwissenschaft müssen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Und ich kenne durchaus einige Physiker, Biologen und Chemiker, die gerade durch die Beschäftigung mit ihrem Fach in ihrem Glauben und ihrer Frömmigkeit nur noch mehr bestärkt wurden.
Leider sind deren Stimmen nicht so laut wie die polemischen Äußerungen der militanten Atheisten, die immer schon zu wissen meinen, wie „die Kirche“ ist, und dass gläubige Menschen ihren Verstand an der Kirchentür abgeben müssen.
Und für viele bleibt das deshalb ein Gegensatz: Glauben oder Denken. Aber das ist natürlich totaler Unsinn.
Es gibt ein schönes Zitat, des deutschen Physikers Max Planck:
„Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang, für den Wissenschaftler am Ende aller Überlegungen.“
Aber was finden wir denn nun an Schöpfungserzählungen in der Bibel? Direkt am Anfang, im ersten Buch Mose, stehen zwei unterschiedliche Schöpfungserzählungen nacheinander. Auch das ist ja schonmal sehr interessant, dass man beide nebeneinander stehen lassen konnte und weitergegeben hat – vermutlich weil man in beiden Wahres erkannt hat.
Aus dem ersten Schöpfungsbericht haben wir eben Auszüge gehört. Das ist der sicherlich bekanntere mit dem Sieben-Tages-Schema.
Im zweiten Bericht, der wahrscheinlich sogar älter ist als der erste, wird zunächst der Mensch erschaffen, dann wird ihm seine Umgebung in Form eines Gartens gestaltet. Nach den verschiedenen Tieren erschafft Gott dann schließlich die Frau, die aus dem gleichen „Material“ stammt wie „Adam“ und die erst dadurch eine echte Partnerin, ein gleichwertiges Gegenüber sein kann. Diese Schöpfungserzählung geht dann relativ nahtlos in die Geschichte vom Sündenfall über – und damit wären wir inhaltlich auch schon beim nächsten Sonntag, wo es um die Vergebung der Sünden gehen wird.
Deshalb erstmal wieder zurück zum ersten Schöpfungsbericht, dem mit dem sieben-Tages-Schema:
Gott ordnet und schafft, nacheinander lässt er alles entstehen: Tag und Nacht, Himmel, Erde und Meer, Pflanzen, Gestirne, Tiere, und schließlich den Menschen. Und am siebten Tage ruht er sich bekanntermaßen aus von seinem Werk – die Grundlage für den jüdischen Sabbat.
Dieser Text dürfte in priesterlichen Kreisen in der Zeit des babylonischen Exils entstanden sein, also im 6. vor Christus. Mit dem damaligen Wissen und Weltbild hat man versucht, die Entstehung der Welt zu erklären, und auch, in einer fremden Umgebung, in der man den Gestirnen göttliche Eigenschaften zuschrieb, den eigenen Glauben an Gott, den Schöpfer klarer zu fassen. Man wollte hier klarstellen: Die Babylonier verehren hier fälschlicherweise die Gestirne als Götter. Wir aber wissen doch, dass die auch nur geschaffen sind!
Natürlich verfügten die Menschen damals noch nicht über unser kosmologisches Wissen. Trotzdem ist es doch interessant, dass die prinzipielle Vorstellung, wonach sich eins nach dem anderen entwickelt hat, gar nicht so weit weg ist von dem, was die Evolutionstheorie besagt.
Aber die eigentliche Kernfrage, an der sich die Geister scheiden, ist und bleibt doch: Gibt es einen Schöpfergott, der hinter diesem Prozess steht, oder nicht?
Und hier sind die biblischen Berichte ja nun ganz eindeutig. Diese Erzählungen wollen uns etwas sagen über Gott, über den Menschen und über deren Verhältnis zueinander. Und darin liegt ihre tiefe Wahrheit – und die bleibt auch dann bestehen, wenn wir mithilfe der Naturwissenschaften in Zukunft immer noch mehr über die Entstehung des Kosmos und des Lebens herausfinden sollten.
Gott kann aus Nichts etwas werden lassen. Und er tat das ganz bewusst – ob durch den Urknall, wie es momentan ja wohl immer noch der aktuelle Stand der Forschung ist, oder wie auch immer.
Das Leben, die Welt, die Natur, die Lebewesen, die Menschen, auch die Kultur, sind eben keine einfachen Gegebenheiten, sondern sie sind Gaben des Schöpfers.
Das wird besonders schön deutlich in Luthers Auslegung zum ersten Kapitel im kleinen Katechismus. Dort ist „Schöpfung“ nämlich kein abstraktes Thema mehr, sondern wird ganz persönlich und konkret. Und umfassend:
„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen – heißt es da –, „mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was Not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit […]“.
Der Schöpfer rief diese Welt ins Dasein. Aber damit ist die Schöpfung noch nicht beendet. Er hat nicht einfach nur als „unbewegter Beweger“ diesen Prozess angestoßen und sich dann beobachtend zurückgelehnt.
Auch diese Vorstellung gab es in der Philosophie- und Religionsgeschichte.
Aber die finde ich ehrlich gesagt ziemlich grausam.
Gott bleibt bei seiner Schöpfung dabei. „Schöpfung“, das ist also nicht nur die erste Sekunde des Universums, sondern der gesamte Prozess bis hin zur Erschaffung des Menschen und der Ermöglichung einer Beziehung der Menschen zu Gott (vgl. M. Welker). Schöpfung passierte nicht nur „am Anfang“, sondern Schöpfung ist auch die kontinuierliche Erhaltung des Geschaffenen.
Die Erhaltung und die Vollendung.
Und damit wären wir auch schon beim nächsten großen Problem:
Im biblischen Schöpfungsbericht heißt es über die Schöpfungswerke: „Es war sehr gut“.
Wir aber wissen doch, wie es weiter ging:
Der Mensch wird die ihm geschenkte Freiheit missbrauchen, er wird sich selbst zum Maß aller Dinge erheben wollen, Kain wird seinen Bruder Abel erschlagen. Der Mensch wird die Erde nicht nur bebauen und bewahren, sondern wird sie durch seine Ausbeutung an den Rand der Zerstörung bringen.
Bliebe Gott angesichts dessen tatsächlich fern und würde sich das Ganze wie eine Versuchsanordnung von oben betrachten, könnten wir alle Hoffnung an den Nagel hängen.
Doch als Christen wissen wir: Er blieb dem ganzen Schlamassel nicht fern, sondern hat sich in Jesus von Nazareth mitten hinein begeben.
Gibt es also doch ein Ziel, auf das die Schöpfung zuläuft?
Die Bibel und wir mit ihr nennen dieses Ziel: das „Reich Gottes“ oder auch die „Erlösung“.
Vgl. Paulus in Röm 8: „Die Schöpfung seufzt und ängstigt sich. Sie ist, so wie wir, der Vergänglichkeit unterworfen. Es gibt viel Leid in ihr, auch Sterben und Tod. Aber sie läuft ihren Weg durch die Zeit nicht hoffnungslos. Ihre Hoffnung besteht darin, dass sie ein Ziel finden wird, das Ziel, das der Schöpfer ihr zugedacht hat.“
Nun werden wahrscheinlich nicht nur mitdenkende Konfirmanden einwenden: Warum dieser Umweg? Warum hat Gott dann nicht gleich das Reich Gottes geschaffen?
Nun, ich glaube, ein Grund ist, dass er uns Menschen auch als Mitgestalter haben wollte, nicht als bloße Marionetten oder Statisten.
Denn er ist ja gerade nicht wie ein Puppenspieler, der über dem Welttheater sitzt und die Strippen zieht. Und er hat auch nicht alles von vorneherein festgelegt, sondern er hat z.B. auch den Zufall geschaffen und lässt ihn zu.
Und er hat uns nach seinem Bild geschaffen: Als Beziehungswesen, mit schöpferischen Fähigkeiten und Freiheiten zum Gestalten.
Helfe er uns auch, diese Gaben richtig und zum Wohle der Schöpfung zu nutzen!
Aber selbst wenn wir versagen, ist nicht alles hoffnungslos. Denn der Schöpfer hat seine Welt nicht abgeschrieben. Und er wird sie zur Vollendung führen.
Und er, der aus Nichts etwas werden lassen kann, kann auch aus dem, was hier schief läuft, am Ende noch etwas Gutes werden lassen.
Denn er ist nicht einfach nur der unbewegte Beweger am Anfang, kein höheres Prinzip, sondern ein personaler Gott in Beziehung zu seinen Geschöpfen, ein Vater, der sich anrühren lässt.
Deshalb gehört die „Schöpfung“ immer zusammen mit dem Stichwort „Erlösung“.
Als Christen glauben wir: Gott hat die Schöpfung auf wunderbare Weise am Anfang der Zeit ins Leben gerufen und er wird sie auf wunderbare Weise auch am Ende der Zeit zur Erlösung führen.
Ein Siegel dafür, gleichsam eine Bestätigung mitten in der Zeit, ist die Auferstehung Jesu Christi. Die ist nach menschlichen Maßstäben unmöglich, Unsinn oder dummes Geschwätz. Von Gott jedoch eine Neuschöpfung inmitten der Zeit. Mit der gleichen Kraft, mit der er die Schöpfung am Anfang ins Leben rief, setzte er in die Mitte der Zeit ein Zeichen für das, was kommen wird, ein Hoffnungszeichen.
Weil er seine Schöpfung, weil er seine Geschöpfe liebt, und ihnen deshalb nicht fern bleibt wie ein „unbewegter Beweger“, sondern mittendrin ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen
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Predigt am 22.07.2018
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes, des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen – Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
um das Endgericht soll es heute gehen – schwere Kost für so einen schönen Sommertag wie heute… Aber schließlich bekennen wir jeden Sonntag, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, dass Christus wiederkommen wird, „zu richten die Lebenden und die Toten.“
Der biblische Befund zum Thema Endgericht ist sehr uneinheitlich.
Auf der einen Seite finden wir Stellen wie in Mt 13,40ff:
„Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird’s auch am Ende der Welt gehen.
Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun,
und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“
Oder wir denken an Mt 25, wo der Menschensohn bei seiner Wiederkunft die Menschen voneinander scheidet wie die Schafe von den Böcken: die guten Schafe zu seiner Rechten, die schlechten Böcke zu seiner Linken.
Das Kriterium für die Beurteilung ist dabei der Umgang mit den geringsten Brüdern, also ethische Fragen des richtigen Verhaltens gegenüber den Mitmenschen: Habe ich Hungrige gespeist? Durstigen zu trinken gegeben? Fremde aufgenommen? Kranke besucht? Usw.
Über die Guten zur Rechten, die das getan haben, heißt es dann:
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! (Mt 25,34)
Aber zu den anderen:
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! (Mt 25,41)
[…] Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben. (Mt 25,46)
Wir alle kennen wahrscheinlich bildliche Darstellungen dieses Endgerichts. Berühmte jahrhundertealte Fresken oder auch Ikonen, wo Jesus auf dem Thron sitzt und die Gerechten von den Bösen scheidet.
Manchmal werden die Taten oder auch die Seelen selbst in die Waagschale geworfen, und je nachdem, wohin die ausschlägt, fällt dann das Urteil.
Die Gerechten kommen dann ins Paradies, während die Bösen in den Höllenschlund geworfen werden.
Bisweilen hat man sich vor allem letzteres höchst plastisch und sehr konkret ausgemalt und das dann auch so abgebildet, samt Feuer, Marterwerkzeugen und übelsten Foltermethoden durch den Satan und seine bösen Gehilfen.
Ich kann mir vorstellen, was das bei den Menschen damals für Angst ausgelöst hat. Auch heute noch kann man das Gruseln kriegen, wenn man sich diese Details genauer anschaut.
Und wir alle wissen auch, dass die Kirche diese Ängste perfiderweise auch ganz schön ausgenutzt hat, um den Leuten ihr Geld aus der Tasche zu ziehen. Und immerhin gab es ja durchaus Bibelstellen, auf die man sich beziehen konnte.
Andererseits lesen wir in der Bibel aber auch:
Jesus sprach: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ (Joh 5,24)
Oder:
„Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh 3,17)
Der biblische Befund zum „Gericht“ ist also nicht eindeutig. Offensichtlich hat man sich auch schon zu den Zeiten, in denen diese Texte entstanden sind, viele Gedanken um diese Fragen gemacht. Und auch in der Theologiegeschichte, die dann folgte.
Die beiden Grundmodelle sind dabei folgende:
Entweder es gibt einen doppelten Ausgang, also:
Einige werden ins Paradies kommen, und andere werden in alle Ewigkeit bestraft oder vernichtet.
Oder: Die Allversöhnung – also etwas platt gesagt: Alle kommen in den Himmel.
Die Vorstellung vom doppelten Ausgang scheint unserem menschlichen Gerechtigkeitsempfinden entgegenzukommen:
Da wird Gutes belohnt und Böses bestraft; das ist uns sehr nahe. So funktionieren die meisten Märchen, Filme mit Happy End, unsere Erziehung im Schulunterricht.
Und solange wir nicht selbst die Bösen sind, finden wir das wahrscheinlich auch völlig gerecht und richtig.
Und so könnte uns auch eine gewisse Genugtuung überkommen bei der Vorstellung, dass diejenigen, die uns und anderen in diesem Leben übel mitgespielt haben, ihre gerechte Strafe schon noch erhalten werden. Und dass sich bei der Wiederkunft Christi das Blatt endlich wenden wird.
Die Sache hat nun aber einen logischen Haken:
Rachegedanken mögen uns im Hier und Jetzt eine gewisse Genugtuung verschaffen.
Aber wenn wir davon ausgehen, dass Gottes Paradies, dass der „Himmel“ im Jenseits nur gut und nichts als gut ist, dann werden die Gerechten, die dort hinkommen, keine Rachegedanken mehr hegen. Sondern sie werden mitfühlen mit den Gemarterten in der Hölle, und deshalb würde selbst der Aufenthalt im Paradies getrübt sein – was nicht vorstellbar ist.
Bei der Allversöhnung hingegen könnte man sich fragen:
Wozu sich dann noch nach irgendwelchen Geboten richten, wenn sowieso alles egal ist?
Was spielt das dann noch für eine Rolle, wenn am Ende ohnehin alle in gleicher Weise von Gott erlöst und angenommen sind?
Und spätestens an der Stelle kommt dann ganz zu recht die Vorstellung vom Endgericht ins Spiel, denn:
Die Vorstellung, dass Christus am Ende der Zeiten über die Lebenden und die Toten richten wird,
nimmt erstens: die Sünde ernst. Denn die ist ja nicht einfach eine kleine moralische Verfehlung, sondern geht viel tiefer. Der Mensch bleibt auch als von Gott Gerechtfertigter Gerechter und Sünder zugleich.
Aber im Himmel wird dann definitiv kein Platz mehr für die Sünde sein.
Deshalb macht die Vorstellung von einer Läuterung im Gericht für mich durchaus Sinn.
„Den Himmel und die Erde wird Gott neu schaffen gar, all Kreatur soll werden ganz herrlich, schön und klar.“ – so haben wir es eben im ersten Lied gesungen.
Die Vorstellung, dass Christus am Ende der Zeiten über die Lebenden und die Toten richten wird,
nimmt zweitens: Gottes Gottsein ernst.
Gott ist eben nicht „ein zahnloser Tiger“, oder einfach der „liebe Gott“, dem alles recht ist. Sondern er hat die Vollmacht und die Möglichkeit, das letzte Wort über den Menschen zu sprechen. Er könnte theoretisch sogar seine Schöpfung der Vernichtung preisgeben. Aber damit würde er sich selbst untreu, denn er hat sich ja als der Gott gezeigt und offenbart, der selbst die Liebe IST.
Und damit bin ich auch schon beim dritten Gedanken:
Die Vorstellung, dass Christus am Ende der Zeiten über die Lebenden und die Toten richten wird,
nimmt drittens: die echte Liebe ernst, die Gott ist.
Und zu dieser Liebe gehört auch der Zorn dazu.
Ein einfaches Ignorieren oder „Ist ja im Grund egal – Schwamm drüber“ würde nicht zu der tiefgreifenden Verletzung echter Liebe durch die Sünde passen.
Denn das ist ja so: Mit der Sünde verletzen wir andere, unsere Umwelt, Gott und letztlich unsere eigene, eigentliche Bestimmung.
Und angesichts dessen hat unser Schöpfer allen Grund und alle Berechtigung zum Zorn.
Aber dass er es nicht beim Zorn belassen will, wird uns schon zugesagt nach der Geschichte von der Sintflut.
Und erst recht im Kommen Jesu Christi in diese sündhafte Welt. Dieses Jesus, der als der einzig sündlose Mensch, alle Schuld der Welt mit ans Kreuz nimmt. Das ist schon für uns geschehen.
Und trotzdem bleiben wir im Hier und Jetzt auch als Erlöste immer „Gerechte und Sünder“ zugleich.
Und so glaube ich, dass im Endgericht letztlich nicht die guten von den schlechten Menschen getrennt werden, weil es die jeweils in Reinform auch gar nicht gibt.
Sondern ich glaube, dass das Gericht eigentlich mitten durch uns, durch jeden einzelnen Menschen, hindurchgehen muss.
Und ich stelle mir das so vor, dass uns in dem Moment wie Schuppen von den Augen fallen wird, was in unserem Leben falsch gelaufen ist.
Und das wird durchaus schmerzhaft sein, wenn das aufgedeckt werden wird:
Alles, womit wir andere durch unser Tun oder auch unser Lassen verletzt haben.
Alles, wo wir falsche Identitätsansprüche gestellt haben. Und wir eventuell im Rückblick und in der gesamten Draufsicht auf unser Leben sehen müssen: Vielleicht ist gerade das, wo ich mich besonders toll fand, der größte Fehler gewesen in Gottes Augen.
Anteile, Sequenzen unseres Lebens werden gerichtet werden.
Das wird bestimmt durchaus schmerzhaft sein.
Aber ich glaube, es wird auch heilsam sein.
Weil Gott uns im und durch das Gericht letztlich ganz zurechtbringt.
Weil die Sünde eben nicht bis ins Jenseits verstetigt wird, sondern dann wirklich „vorbei“ ist.
Das Gericht ist demnach also kein Grund zur Furcht, sondern ein wichtiger Schritt im Prozess unserer Erlösung. Richten und Retten sind sozusagen eins.
Gott rettet, indem er richtet.
Deshalb kann der Evangelist Lukas auch über das Endgericht schreiben:
Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lk 21,28)
Und wenn wir uns doch noch bisweilen mit der Frage quälen sollten, ob wir denn nun zu den Erwählten gehören, die im Gericht bestehen werden, oder nicht,
so hilft mir persönlich hier ein Zitat Luthers aus seinem Sermon von der Bereitung zum Sterben.
Mit diesem möchte ich auch schließen:
„Du musst doch Gott darin Gott sein lassen, dass er mehr von dir weiß als du selbst. Darum sieh das himmlische Bild, Christus, an: Er ist um deinetwillen in die Hölle gefahren und ist von Gott verlassen gewesen, als wäre er einer, der ewig verdammt ist, als er am Kreuze sprach:[…] „Mein Gott, o mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sieh, in diesem Bild ist deine Hölle überwunden und deine ungewisse Zukunft ist gewiss gemacht; denn wenn du dich nur darum kümmerst und das als für dich geschehen glaubst, so wirst du in diesem Glauben gewiss errettet. Drum lass dir´s nur nicht aus den Augen nehmen und suche dich nur in Christus und nicht in dir, so wirst du dich ewig in ihm finden. In solcher Weise musst du Christus und alle seine Heiligen ansehen und dir die Gnade Gottes, der sie so erwählt hat, wohl gefallen lassen und nur fest in diesem Wohlgefallen bleiben: dann bist du auch schon erwählt.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen